MEINE GESCHICHTEN
Ein Mann ist unter meinem Bett. Keine Ahnung, wie er da hin gekommen ist.
Es ist Dienstagmorgen, ich bin noch gar nicht richtig wach und hatte gerade im halbeingeschlafenen
Zustand meinen zweiten Pantoffel gesucht … da sehe ich ihn. Kann nicht sein, denke ich und schlurfe erst einmal in die Küche, setze Wasser an und will
mir eine Kanne Tee aufbrühen. Mann unterm Bett, denke ich, träumst du jetzt? Ist das jetzt das Ergebnis des Single-Daseins, der Zustand akuter Verblödung?
Gehe ins Bad, dusche schnell kalt, rubble mich ab, bis die Haut rot ist und schlüpfe in meinen kuscheligen Bademantel. Komme mir schon wacher vor als noch vor
ein paar Minuten, biege in die Küche ab und gieße das Wasser über Schwarztee-Gekrümel. Tappe zurück ins Schlafzimmer, bücke mich … er liegt immer noch unter meinem Bett und
sieht mich mindestens genauso erstaunt an wie ich ihn.
Ein Einbrecher kann es nicht sein, dafür ist er zu wenig bekleidet. Er hat sozusagen gar nichts an, wie ich halbwegs entsetzt feststellen muss. ...
(aus "Verloren - oder: unter meinem Bett ...")
„Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch bei einer Recycling-Firma!“, sage ich zu Freunden, und einer davon erwidert:
„Na, so alt bist du doch noch gar nicht!“
Allgemeines Gelächter.
Am andern Morgen betrete ich das Foyer des genannten Unternehmens. Die Empfangsdame im weißen Kittel geleitet mich in einen Besprechungsraum, dessen Fenster von außen vergittert sind.
Ich denke nicht darüber nach, es ist zweiter Stock, wozu vergitterte Fenster? Nein, kein Gedanke.
Der Firmenchef erscheint, er hat einen irgendwie merkwürdigen Blick … egal, ich will ja nun endlich einen Job und lächle.
„Sie sind sich im Klaren, dass Sie hier in einer Recyclingfirma sind?“, fragt er gedehnt.
„Ja, sicher!“, erwidere ich.
„Sie wissen, was das bedeutet?“, will er wissen.
„Klar, hat was mit Kunststoffen zu tun, das hab ich studiert.“
„Ja, Kunststoffe“, meinte er mit leichtem Krächzen in der Stimme und schiebt ein Blatt vor mich auf den Tisch. „Wenn Sie damit einverstanden sind, eben mit
Recyclingverfahren, dann unterschreiben Sie einfach hier.“
Ich habe leider die Brille vergessen und denke, na geht ja schnell mit dem Vertrag, sonst immer die ewige Ausfragerei nach dem Lebenslauf.
„Und das Gehalt?“, will ich wissen.
Er erwidert: „Größenordnung 250.000 Euro! Ihre Kontoverbindung haben wir ja.“
Ich bin erstaunt, so viel Knete, hatte ich noch nie als Jahresgehalt! Unterschreibe und sende sofort per SMS die Jubelnachricht an meine Tochter. Man lässt mir Zeit dazu.
Die Frau vom Empfang kommt wieder und drückt einen Knopf neben der Tür. Zwei Handschellen klacken um jeden Oberarm, jeden Unterarm, jeden Ober- und jeden Unterschenkel. ...
(aus "Verirrt - oder: Schrei nach Recycling")
Verwaschen - oder: nach der Krise
Das Bett neben mir ist neuerdings leer. Irgend etwas fehlt. Irgend etwas Warmes, Kuscheliges.
„Ich kann dich nicht mehr ertragen!“, hatte ich zuletzt geschrien.
Ein dumpfes Brummen war die Antwort. Schwerfällig tappt es ins Bad.
„Du bringst alles durcheinander!“, rufe ich ihm hinterher. „Du nervst nur noch!“
Ich bekomme keine Antwort. Wer kennt das nicht. Eben typisch Beziehung. Oder besser: Beziehungskrise. „Und das ewige Schnarchen, ich muss schlafen, sonst fliege ich aus dem Job!“
Die Klospülung antwortet, dann tappt es herein. „Kannst mich ja wegbringen“, sagt es.
Ich erschrecke. Vielleicht habe ich doch etwas überreagiert. Aber der ewige Nicht-Schlaf zerrt an den Nerven.
„Wir müssen reden“, standardsätzle ich.
Es lacht. Dann drückt es mich. Ich muss auch lachen.Verzwickte Situation!
Vor zwei Wochen war die Welt noch in Ordnung. Oder eben auch nicht. Ich lief als Hamster im Laufrad: aufstehen, essen, zum Büro fahren, Computer hochfahren, Excel, Meeting, essen,
Bericht, Meeting, schreiben, Computer runterfahren, Feierabend, essen, pennen. Hätte alles so weitergehen können, hätte mich nicht gestört.
Da pochte es von außen an die Balkontür. Dazu muss ich sagen, dass ich im zweiten Stock wohne. Dort pocht es normalerweise nicht von außen an die Balkontür! Außer in
einem blöden amerikanischen Film, wenn es sich um ein Wolkenkratzer-Hotel handelt und draußen Schnee und -15°C sind. Aber es war weder Schnee noch -15°C, es war nur Herbst und ich erschrak.
Ein Einbrecher mit Bergsteigerausrüstung? Ein Kind, das aus dem 10. Stock gefallen ist und sich gerade hier an meiner Balkonbrüstung gefangen hat und nun herein will? Nichts von alledem. Es war - ein Waschbär.
Da es Abend und einigermaßen kalt und dunkel war, ließ ich ihn herein.
Er schüttelte sich ein wenig und sagte dann in bestem Hochdeutsch „Guten Abend“, was mich halbwegs in Erstaunen versetzte.
Höflich wie er war, bemerkte er meine Sprachlosigkeit und überspielte sie mit einem leisen Lächeln und der Erklärung: „Schlaflos in Seattle, aber sprachlos in Berlin, das war ich auch einmal.
Aber zum Glück gibt es ja diese Sprachkurse für Leute, die von woanders kommen, sich verständigen wollen und halbwegs Grips haben, es zu lernen!“ Er tappte an mir vorbei in die Küche. „Wann gibt es Abendbrot?“, wollte er wissen.
Ich lief ihm nach: „Naja, ich wollte eigentlich nur eine Stulle, ...“
„Ich würde auch Bratkartoffeln essen mit Spiegelei“, gestand er mir, „ich bin nämlich ein Allesfresser, so wie es in Wikipedia zu lesen ist!“
„Aha …???“
„Ja, wir hatten in dem Sprachkurs auch gleich einen Computerkurs mit, und dann habe ich mir in der U-Bahn ein Smartphone geklaut, damit ich mich bisschen übers Internet weiterbilden kann.“
Ich zuckte mit den Schultern und begann, Kartoffeln zu schälen.
Zum Essen stellte er eine Schüssel mit Wasser daneben, um jedes Spiegelei und jedes Kartoffelstückchen einzutunken. Auch DA war die Welt noch in Ordnung.
Nach dem Essen war der Waschbär sichtlich froh und zufrieden und lümmelte neben mir auf dem Sofa herum, sah Nachrichten und irgend eine Folge von … ich hab's vergessen,
Tatort oder sonstwas, ich war immer noch damit beschäftigt, darüber nachzugrübeln, was nun werden sollte.
Es wurde. Er stand auf, als ich den Fernseher ausknipste, lief ins Bad und verlangte ein sauberes Handtuch. „Waschbären müssen sich waschen. Hast du noch eine neue Zahnbürste für mich?“
Ich gab sie ihm.
Da der Tag recht anstrengend gewesen war, ging ich zu Bett und schlief ziemlich schnell ein in der Hoffnung, der Waschbär würde das Sofa nehmen, aber wie im Märchen mit der Prinzessin und dem Froschkönig
legte er sich neben mich ins Bett. Da er im Gegensatz zum Frosch weich und warm war, störte es mich weiter nicht.
„Ich bin 71 cm groß und 9 kg schwer“, klang es in meinen ersten Traum hinein, „die maximal erreichbare Größe. Wie es in Wikipedia steht!“
Frühmorgens stand er schon beim Abwasch in der Küche und hatte Kaffee angesetzt. Er ist ein sehr häuslicher Waschbär. Ich musste dann zur U-Bahn rennen, und er versprach, die Wäsche zu waschen.
Dann wurden alle Grünpflanzen von ihm gewaschen, einige auch gegessen, aber das störte mich noch nicht einmal sooo sehr! Alle Gläser in meinem Vitrinenschrank, alle Blumenvasen aus der Abstellkammer und
alle Schuhe. Da fing es schon an, mich leicht zu nerven.
Ich sagte ihm, alles sollte er nicht waschen, und schrieb eine Liste der Verbote.
„Typisch deutsch!“, schrie er. „Immer gleich Verbote! Und Listen! Deutsche Bürokratie! Kannst du nicht einfach mit mir sprechen?“
Ich zerriss das Papier und versuchte es nochmal, hatte auch den Glauben, dass es helfen könnte.
Am andern Morgen wusch der Waschbär unten vor dem Haus mein Auto, dann die Schonbezüge, auch das Auto innen, und ich hatte die nächsten Tage zu tun, immer mal nach unten zu gehen und die Karre zu lüften,
denn er hatte mit Wasser nicht gespart. Dann wusch er alle Teller, alle Tassen, zerschlug dabei die Hälfte; na gut, dachte ich, soll er, ich wollte sowieso mal was Neues. Dann wusch er alle
Tischdecken, alle Handtücher und die komplette Bettwäsche aus dem Wäschefach. Alle Blusen, alle Hosen, die Röcke, alle Sommerkleider, die Shorts, meine sämtlichen Dessous, diverse Stapel von Unterwäsche, alle
Socken, alle T-Shirts, sogar die Lederjacke und den Wintermantel aus Wollstoff, meine Reiterstiefel und die Kappe, alle Handschuhe und alle Schals und alle Tücher. Ich wusste gar nicht, wo das alles trocknen sollte. Als ich nach Hause
kam, wollte ich seufzend eine Liste schreiben, aber er war gleich wieder verärgert und schimpfte mich undankbar! Und was er alles geleistet hätte!
Ich fuhr in meinem halb nassen Auto zu DOMÄNE und kaufte alle verfügbaren Wäschetrockner auf, dann brachte ich sie zurück, verdammt, dachte ich, ich kann nicht mal mehr klar denken wegen diesem blöden
Vieh! - ließ mir das Geld wiedergeben, fuhr in einen Laden mit Haushaltsgeräten und kaufte einen Trockner, rief meinen zweitbesten Freund an, der einen Elektriker kennt, ließ den Trockner noch am gleichen
Abend anschließen und trocknete bis früh um drei die Wäsche. Ich hatte zwischendurch eine halbe Packung Baldrian aufgebraucht, weil der Waschbär vor ungeduldiger Energie zu sprühen schien und sich in
Erläuterungen verlor, was er alles noch gedächte zu waschen. Zwischendurch kochte ich ihm VIEL Spaghetti mit Schinken und Sahnesoße und hoffte, er würde sich beruhigen, aber das Gegenteil
schien der Fall. Ich redete auf ihn ein.
„Ich merke mir das alles, genau wie es in Wikipedia steht. Waschbären haben ein gutes Gedächtnis!“
Als ich am nächsten Tag aus der Firma komme und ins Haus gehe, springt mir die Mieterin der Wohnung unter mir, die etwas korpulente Frau Schröter, fast an die Kehle.
„Was erlauben Sie sich“, schreit sie mich an, „Ihre kaputte Waschmaschine den ganzen Tag laufen zu lassen?“
Ich weiß von keiner kaputten Waschmaschine.
„Kommen Sie mit“, befiehlt sie mir in energischem Ton.
Wir betreten ihr Badezimmer, es regnet von der Decke. Ich ahne Schlimmes und keuche im Laufschritt die Treppe hoch. Auf der Treppe liegt eine BILD. Großes Foto, Text: „In Berlin gibt es
immer mehr Waschbären.“
Ich öffne die Wohnungstür, und da strahlt mich schon der Waschbär an: „Heute wirst du bestimmt nichts an mir auszusetzen haben! Ich habe endlich mal dein Bad RICHTIG sauber gemacht!“
Über die Badschwelle zu gehen ist nicht möglich, Wasser schwallt mir entgegen, und meine Hausschuhe sind sofort klitschnass. Ein schräger Blick ins Wohnzimmer zeigt mir, dass er an diesem Tag alle Bücher
gewaschen hat, das Sofa, die Wohnzimmerschränke, den Teppich, die Vorhänge tropfen noch … den Schreibtisch, das Papier, sämtliche Ordner, den Ordner mit der Steuererklärung, den Ordner mit den
Garantiescheinen, meine Reiseunterlagen für die nächste Reise, alle Klarsichthüllen, den Locher, die Heftmarker, alle Notizblöcke, die Bilder an den Wänden, den Drucker, den Laptop nicht, denn sonst hätte ich nicht
diese komplett bescheuerte Geschichte schreiben können, aber ich weiß jetzt keine Lösung, ich sage euch nur, wenn von euch jemand nicht gern putzt oder es in der WG immer Streit gibt um den Abwasch, ich könnte da jemand empfehlen,
er ist ein voll netter Typ, gebildet und nicht allzu teuer!
Und wenn nicht - falls es bei euch an die Balkontür oder ans Fenster von außen klopft, auf keinen Fall aufmachen!!!