Jutta Reike

MEINE GESCHICHTEN

Ein Mann ist unter meinem Bett. Keine Ahnung, wie er da hin gekom­men ist.
    Es ist Dien­stag­morgen, ich bin noch gar nicht rich­tig wach und hatte gerade im halb­ein­ge­schla­fenen Zustand meinen zwei­ten Pan­tof­fel gesucht … da sehe ich ihn. Kann nicht sein, denke ich und schlurfe erst ei­nmal in die Küche, setze Was­ser an und will mir eine Kanne Tee auf­brü­hen. Mann unterm Bett, denke ich, träumst du jetzt? Ist das jetzt das Er­geb­nis des Single-Daseins, der Zustand akuter Ver­blö­dung?
    Gehe ins Bad, dusche schnell kalt, rubble mich ab, bis die Haut rot ist und schlüpfe in meinen kusche­ligen Bade­mantel. Komme mir schon wacher vor als noch vor ein paar Minu­ten, biege in die Küche ab und gieße das Wasser über Schwarz­tee-Gekrümel. Tappe zurück ins Schlaf­zimmer, bücke mich … er liegt immer noch unter meinem Bett und sieht mich mindes­tens genauso erstaunt an wie ich ihn.
    Ein Ein­brecher kann es nicht sein, dafür ist er zu wenig be­klei­det. Er hat sozu­sagen gar nichts an, wie ich halb­wegs ent­setzt fest­stel­len muss. ...

(aus "Verloren - oder: unter meinem Bett ...")


„Ich habe morgen ein Vor­stel­lungs­gespräch bei einer Recyc­ling-Firma!“, sage ich zu Freunden, und einer davon erwi­dert: „Na, so alt bist du doch noch gar nicht!“
    All­gemei­nes Geläch­ter.

Am andern Morgen betrete ich das Foyer des genann­ten Unter­neh­mens. Die Empfangs­dame im weißen Kit­tel geleitet mich in einen Bespre­chungs­raum, des­sen Fenster von außen vergit­tert sind. Ich denke nicht darüber nach, es ist zweiter Stock, wozu ver­git­terte Fenster? Nein, kein Gedanke.
    Der Fir­men­chef erscheint, er hat einen irgend­wie merk­wür­di­gen Blick … egal, ich will ja nun end­lich einen Job und lächle.
    „Sie sind sich im Kla­ren, dass Sie hier in einer Recyc­ling­firma sind?“, fragt er gedehnt.
    „Ja, sicher!“, erwidere ich.
    „Sie wissen, was das bedeu­tet?“, will er wissen.
    „Klar, hat was mit Kunst­stof­fen zu tun, das hab ich studiert.“
    „Ja, Kunst­stof­fe“, meinte er mit leich­tem Krächzen in der Stimme und schiebt ein Blatt vor mich auf den Tisch. „Wenn Sie damit ein­ver­stan­den sind, eben mit Recyc­ling­ver­fah­ren, dann unter­schrei­ben Sie ein­fach hier.“
    Ich habe leider die Brille ver­ges­sen und denke, na geht ja schnell mit dem Ver­trag, sonst immer die ewige Aus­fra­ge­rei nach dem Lebens­lauf.
    „Und das Gehalt?“, will ich wis­sen.
    Er erwidert: „Größen­ord­nung 250.000 Euro! Ihre Konto­ver­bin­dung haben wir ja.“
    Ich bin erstaunt, so viel Knete, hatte ich noch nie als Jahres­gehalt! Unter­schreibe und sende sofort per SMS die Jubel­nach­richt an meine Tochter. Man lässt mir Zeit dazu. Die Frau vom Empfang kommt wieder und drückt einen Knopf neben der Tür. Zwei Hand­schel­len klacken um jeden Ober­arm, jeden Unter­arm, jeden Ober- und jeden Unter­schen­kel. ...

(aus "Verirrt - oder: Schrei nach Recycling")

Verwaschen - oder: nach der Krise

Das Bett neben mir ist neuer­dings leer. Irgend etwas fehlt. Irgend etwas War­mes, Kusche­liges.
    „Ich kann dich nicht mehr ertragen!“, hatte ich zuletzt geschrien.
    Ein dumpfes Brum­men war die Antwort. Schwer­fällig tappt es ins Bad.
    „Du bringst alles durch­ein­an­der!“, rufe ich ihm hinter­her. „Du nervst nur noch!“
    Ich bekomme keine Antwort. Wer kennt das nicht. Eben typisch Bezie­hung. Oder besser: Bezie­hungs­krise. „Und das ewige Schnar­chen, ich muss schla­fen, sonst fliege ich aus dem Job!“
    Die Klo­spülung antwortet, dann tappt es herein. „Kannst mich ja weg­brin­gen“, sagt es.
    Ich erschrecke. Viel­leicht habe ich doch etwas über­rea­giert. Aber der ewige Nicht-Schlaf zerrt an den Ner­ven.
    „Wir müssen reden“, standard­sätzle ich.
    Es lacht. Dann drückt es mich. Ich muss auch lachen.Ver­zwickte Situa­tion!

Vor zwei Wochen war die Welt noch in Ord­nung. Oder eben auch nicht. Ich lief als Hamster im Lauf­rad: auf­stehen, essen, zum Büro fahren, Compu­ter hoch­fah­ren, Excel, Mee­ting, essen, Bericht, Mee­ting, schrei­ben, Compu­ter run­ter­fah­ren, Feier­abend, essen, pennen. Hätte alles so weiter­gehen können, hätte mich nicht gestört.
    Da pochte es von außen an die Balkontür. Dazu muss ich sagen, dass ich im zwei­ten Stock wohne. Dort pocht es nor­maler­weise nicht von außen an die Bal­kon­tür! Außer in einem blö­den ameri­kani­schen Film, wenn es sich um ein Wol­ken­kra­tzer-Hotel handelt und drau­ßen Schnee und -15°C sind. Aber es war weder Schnee noch -15°C, es war nur Herbst und ich erschrak.
Ein Ei­nbre­cher mit Berg­stei­ger­aus­rüs­tung? Ein Kind, das aus dem 10. Stock gefal­len ist und sich gerade hier an mei­ner Bal­kon­brüs­tung gefan­gen hat und nun her­ein will? Nichts von alle­dem. Es war - ein Wasch­bär.
    Da es Abend und eini­ger­maßen kalt und dunkel war, ließ ich ihn herein.
    Er schüt­telte sich ein wenig und sagte dann in bestem Hoch­deutsch „Guten Abend“, was mich halb­wegs in Erstau­nen ver­setz­te.
    Höflich wie er war, bemerkte er meine Sprach­losig­keit und über­spielte sie mit einem lei­sen Lächeln und der Erklä­rung: „Schlaf­los in Seattle, aber sprach­los in Berlin, das war ich auch einmal. Aber zum Glück gibt es ja diese Sprach­kurse für Leute, die von woan­ders kommen, sich ver­stän­di­gen wol­len und halb­wegs Grips haben, es zu lernen!“ Er tappte an mir vorbei in die Küche. „Wann gibt es Abend­brot?“, wollte er wis­sen.
    Ich lief ihm nach: „Naja, ich wollte eigent­lich nur eine Stulle, ...“
    „Ich würde auch Brat­kar­tof­feln essen mit Spie­gel­ei“, gestand er mir, „ich bin nämlich ein Alles­fresser, so wie es in Wiki­pedia zu lesen ist!“
    „Aha …???“
    „Ja, wir hatten in dem Sprach­kurs auch gleich einen Computer­kurs mit, und dann habe ich mir in der U-Bahn ein Smart­phone geklaut, damit ich mich biss­chen übers Inter­net wei­ter­bil­den kann.“
    Ich zuckte mit den Schul­tern und begann, Kar­tof­feln zu schä­len.
    Zum Essen stel­lte er eine Schüs­sel mit Was­ser daneben, um jedes Spie­gel­ei und jedes Kar­tof­fel­stück­chen ein­zu­tun­ken. Auch DA war die Welt noch in Ord­nung.
    Nach dem Essen war der Wasch­bär sicht­lich froh und zufrie­den und lüm­melte neben mir auf dem Sofa herum, sah Nach­rich­ten und irgend eine Folge von … ich hab's ver­ges­sen, Tat­ort oder sonst­was, ich war immer noch damit beschäf­tigt, darüber nach­zu­grü­beln, was nun wer­den sollte.
    Es wurde. Er stand auf, als ich den Fern­seher aus­knipste, lief ins Bad und ver­langte ein sau­be­res Hand­tuch. „Wasch­bären müs­sen sich waschen. Hast du noch eine neue Zahn­bürste für mich?“
    Ich gab sie ihm.
    Da der Tag recht anstren­gend gewe­sen war, ging ich zu Bett und schlief ziem­lich schnell ein in der Hoff­nung, der Wasch­bär würde das Sofa nehmen, aber wie im Mär­chen mit der Prin­zes­sin und dem Frosch­könig legte er sich neben mich ins Bett. Da er im Gegensatz zum Frosch weich und warm war, störte es mich weiter nicht.
    „Ich bin 71 cm groß und 9 kg schwer“, klang es in meinen ersten Traum hinein, „die maximal erreichbare Größe. Wie es in Wiki­pedia steht!“

Früh­mor­gens stand er schon beim Abwasch in der Küche und hatte Kaffee ange­setzt. Er ist ein sehr häus­licher Wasch­bär. Ich musste dann zur U-Bahn ren­nen, und er ver­sprach, die Wäsche zu waschen. Dann wurden alle Grün­pflan­zen von ihm gewa­schen, einige auch geges­sen, aber das störte mich noch nicht einmal sooo sehr! Alle Glä­ser in meinem Vi­tri­nen­schrank, alle Blu­men­vasen aus der Abstell­kam­mer und alle Schuhe. Da fing es schon an, mich leicht zu ner­ven.
    Ich sagte ihm, alles sollte er nicht waschen, und schrieb eine Liste der Ver­bote.
    „Typisch deutsch!“, schrie er. „Immer gleich Ver­bote! Und Lis­ten! Deut­sche Büro­kra­tie! Kannst du nicht ein­fach mit mir spre­chen?“
    Ich zer­riss das Papier und ver­suchte es nochmal, hatte auch den Glau­ben, dass es hel­fen könnte.

Am andern Mor­gen wusch der Wasch­bär unten vor dem Haus mein Auto, dann die Schon­be­züge, auch das Auto innen, und ich hatte die nächsten Tage zu tun, immer mal nach unten zu gehen und die Karre zu lüf­ten, denn er hatte mit Wasser nicht gespart. Dann wusch er alle Teller, alle Tassen, zer­schlug dabei die Hälfte; na gut, dachte ich, soll er, ich wollte sowieso mal was Neues. Dann wusch er alle Tisch­decken, alle Hand­tücher und die kom­plette Bett­wäsche aus dem Wäsche­fach. Alle Blusen, alle Hosen, die Röcke, alle Som­mer­klei­der, die Shorts, meine sämt­lichen Des­sous, diverse Stapel von Unter­wäsche, alle Socken, alle T-Shirts, sogar die Leder­jacke und den Win­ter­man­tel aus Woll­stoff, meine Rei­ter­stie­fel und die Kappe, alle Hand­schuhe und alle Schals und alle Tücher. Ich wusste gar nicht, wo das alles trock­nen sollte. Als ich nach Hause kam, wollte ich seuf­zend eine Liste schrei­ben, aber er war gleich wieder ver­ärgert und schimpfte mich undank­bar! Und was er alles geleis­tet hätte!
    Ich fuhr in meinem halb nas­sen Auto zu DOMÄNE und kaufte alle ver­füg­ba­ren Wäsche­trock­ner auf, dann brachte ich sie zurück, verdammt, dachte ich, ich kann nicht mal mehr klar den­ken wegen diesem blöden Vieh! - ließ mir das Geld wie­der­geben, fuhr in einen Laden mit Haus­halts­ge­rä­ten und kaufte einen Trockner, rief meinen zweit­besten Freund an, der einen Elek­tri­ker kennt, ließ den Trock­ner noch am glei­chen Abend anschlie­ßen und trock­nete bis früh um drei die Wäsche. Ich hatte zwi­schen­durch eine halbe Packung Bal­drian auf­ge­braucht, weil der Wasch­bär vor unge­duldi­ger Energie zu sprü­hen schien und sich in Erläu­te­run­gen verlor, was er alles noch gedächte zu waschen. Zwi­schen­durch kochte ich ihm VIEL Spaghetti mit Schin­ken und Sahne­soße und hoffte, er würde sich beru­higen, aber das Gegen­teil schien der Fall. Ich redete auf ihn ein.
    „Ich merke mir das alles, genau wie es in Wiki­pedia steht. Wasch­bä­ren haben ein gutes Gedächt­nis!“

Als ich am nächsten Tag aus der Firma komme und ins Haus gehe, springt mir die Mieterin der Wohnung unter mir, die etwas korpulente Frau Schröter, fast an die Kehle.
    „Was erlau­ben Sie sich“, schreit sie mich an, „Ihre kaputte Wasch­maschine den gan­zen Tag laufen zu lassen?“
    Ich weiß von keiner kaputten Wasch­maschine.
    „Kommen Sie mit“, befiehlt sie mir in ener­gi­schem Ton.
    Wir betreten ihr Bade­zimmer, es reg­net von der Decke. Ich ahne Schlimmes und keuche im Lauf­schritt die Treppe hoch. Auf der Treppe liegt eine BILD. Großes Foto, Text: „In Ber­lin gibt es immer mehr Wasch­bä­ren.“
    Ich öffne die Wohnungs­tür, und da strahlt mich schon der Wasch­bär an: „Heute wirst du bestimmt nichts an mir aus­zu­set­zen haben! Ich habe endlich mal dein Bad RICH­TIG sau­ber gemacht!“
    Über die Bad­schwelle zu gehen ist nicht mög­lich, Wasser schwallt mir ent­gegen, und meine Haus­schuhe sind sofort klitsch­nass. Ein schrä­ger Blick ins Wohn­zimmer zeigt mir, dass er an diesem Tag alle Bücher gewa­schen hat, das Sofa, die Wohn­zimmer­schränke, den Tep­pich, die Vor­hänge tropfen noch … den Schreib­tisch, das Papier, sämt­liche Ordner, den Ordner mit der Steuer­er­klärung, den Ordner mit den Garan­tie­schei­nen, meine Reise­unter­lagen für die nächste Reise, alle Klar­sicht­hül­len, den Locher, die Heft­marker, alle Notiz­blöcke, die Bil­der an den Wänden, den Drucker, den Lap­top nicht, denn sonst hätte ich nicht diese komplett bescheu­erte Geschichte schrei­ben können, aber ich weiß jetzt keine Lösung, ich sage euch nur, wenn von euch jemand nicht gern putzt oder es in der WG immer Streit gibt um den Abwasch, ich könnte da jemand empfeh­len, er ist ein voll netter Typ, gebil­det und nicht allzu teuer!
    Und wenn nicht - falls es bei euch an die Balkon­tür oder ans Fens­ter von außen klopft, auf keinen Fall auf­machen!!!